
Die Diskriminierung autistischer Schülerinnen und Schüler im gegenwärtigen Schulsystem muss sichtbar werden, damit sich etwas ändern kann!
Nutzt #schulaut und berichtet über eure Erfahrungen, gerne auch über positive, wenn die Beschulung gelingt. Es gibt sie, die Ausnahmen!
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Wenn ihr anonym bleiben wollt, schickt mir eure Berichte mit dem Betreff #schulaut an info@stephanie-meer-walter.de oder nutzt das Kontaktformular.
Zeigt durch eure Berichte, dass es sich nicht um bedauernswerte Einzelfälle handelt. Die Diskriminierung autistischer Schülerinnen und Schüler ist institutionell bedingt. Das System Schule muss autismussensibel und neurodiversitätssensibel werden!
Ich habe die institutionelle Diskriminierung autistischer Schülerinnen und Schüler im gegenwärtigen Schulsystem angezeigt bei
Frau Ferda Ataman als Bundesbeauftrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
und
Herrn Jürgen Dusel als Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung.
„Sehr geehrte Frau Ataman, sehr geehrter Herr Dusel,
autistische Schülerinnen und Schüler werden im gegenwärtigen Schulsystem diskriminiert. Unser Schulsystem ist auf neurotypische Schülerinnen und Schüler ausgerichtet und nicht autismussensibel, dies betrifft sowohl die Regel- als auch die Förderschulen. Das pädagogische Handeln richtet sich an das aus neurotypischer Sicht falsche und herausfordernde Verhalten autistischer Schülerinnen und Schüler und zielt auf ihre Anpassung ab. Schule ist für autistische Kinder und Jugendliche oft eine übermenschliche Aufgabe, oder, wie viele Autistinnen und Autisten sagen: die Hölle.
Diesen Missstand möchte ich hiermit zur Anzeige bringen.
Meine Petition „Autismus muss ein eigenständiger sonderpädagogischer Förderbedarf werden!“[1] ist von mehr als 30.000 Menschen unterschrieben und von mehr als 500 Menschen kommentiert worden. Es handelt sich also nicht um Einzelfälle, die Beispiele einer schwierigen Schulsituation für autistische Kinder und Jugendliche sind, vielmehr zeigen Umfragen und Studien, dass institutionelle Diskriminierung autistischen Schülerinnen und Schülern eine adäquate Bildung in guter Qualität verwehrt.
„Die Beschulungssituation von Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum kann bisher dem Anspruch einer diskriminierungsfreien Schule noch nicht gerecht werden“[2] – so lautet das Fazit von Prof. Dr. Christian Lindmeier, Leiter des Arbeitsbereichs „Pädagogik im Autismus-Spektrum“ im Institut für Rehabilitationspädagogik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, nach Auswertung einer Umfrage des Bundesverbandes autismus Deutschland e.V. unter Eltern von autistischen Kindern und Jugendlichen zu ihrer schulischen Situation in 2019.
Prof. Dr. André Zimpel, der an der Fakultät für Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg zu den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung und Autismus sowie Pädagogik bei Behinderung und Benachteiligung forscht und lehrt, fragt: „Dürfen wir autistische Menschen dem [Schulen sind für autistische Menschen schlecht ausgestattet und vorbereitet] aussetzen? Das ist ethisch in jedem Einzelfall zu klären.“[3]
Als ein erstes Fazit einer laufenden Studie an der Universität Oldenburg zum Schulabsentismus von autistischen Schülerinnen und Schülern stellen Isabella Sasso und Prof. Dr. Teresa Sansour fest, dass der „Schulbesuch ein erhebliches Risiko für die Gesundheit darstellt, wenn Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt werden und der Schulbesuch dementsprechend dauerhaft psychischen Stress verursacht“[4].
Drei starke und deutliche Aussagen, die das Leid autistischer Schülerinnen und Schüler auf den Punkt bringen. Das Leid, das durch eine nicht an die autistischen Bedürfnisse angepasste Lernumgebung entsteht. Das durch die erzwungene Anpassung autistischer Schülerinnen und Schüler an die bestehenden Strukturen resultiert.
In der Schulstatistik der Kultusministerkonferenz tauchen autistische Schülerinnen und Schüler nicht auf. Es können somit keine Angaben darüber gemacht werden, wie viele Schülerinnen und Schüler sich im Autismus-Spektrum befinden und wie sie beschult werden. Es fehlen empirische Daten. Gleichwohl lässt sich ihre schulische Situation durch Umfragen, durch die Rückmeldungen meiner 2022 gestarteten Petition und durch erste Zwischenergebnisse einer Studie an der Universität Oldenburg und nicht zuletzt durch Äußerungen von autistischen Schülerinnen und Schülern selbst darstellen:
Umfrage des Bundesverbandes autismus Deutschland (2016)[5]:
- Etwa 1/3 der autistischen Schülerinnen und Schüler besuchen ein sonderpädagogisches Förderzentrum oder einer Förderschule, etwa 2/3 werden in der Regelschule beschult.
- Ein Drittel aller autistischen Schülerinnen und Schüler, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf erhalten haben, sind dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung zugeordnet. Ein weiteres Drittel hat den Förderschwerpunkt Lernen oder Geistige Entwicklung erhalten.
- Autistisches Verhalten, das als herausforderndes Verhalten beurteilt wird, geht hauptsächlich auf die fehlende Passung der Lernumgebung an die autistischen Bedürfnisse zurück. Der Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung ist damit falsch!
- Ähnliches dürfte für die Förderschwerpunkte Lernen und Geistige Entwicklung gelten. Erst wenn die Lernumgebung den autistischen Bedürfnissen angepasst worden ist, kann wirklich beurteilt werden, ob ein Förderbedarf in den genannten Bereichen vorliegt. Das autistische Gehirn arbeitet anders als das nicht-autistische Gehirn, autistische Menschen denken und lernen anders. Dieser Aspekt wird bislang so gut wie gar nicht berücksichtigt. Die Standardinstrumente zur Messung der Intelligenz werden den anderen Denkstrukturen und kognitiven Strategien nicht gerecht, weshalb ihre Ergebnisse bei autistischen Menschen nicht valide sind.[6] Hier besteht noch ein großer Forschungsbedarf! Autistische Schüler:innen benötigen andere Lernzugänge und Lernwege, die ihnen gegenwärtig oftmals verwehrt werden.
Umfrage des Bundesverbandes autismus Deutschland (2019)[7]:
- 72 Prozent der befragten Eltern beurteilen die Schulsituation ihrer autistischen Kinder als negativ, überwiegend als ungenügend, zum Teil sogar als katastrophal.
- 42 Prozent der autistischen Kinder mussten mindestens ein Mal die Schule wechseln, einige sogar bis zu vier oder fünf Mal, weil es an der alten Schule nicht mehr ging.
- 24,5 Prozent der autistischen Kinder wurden vom Schulbesuch mindestens ein Mal ausgeschlossen, entweder für Stunden oder Tage, aber auch für Wochen, Monate oder sogar über ein Jahr. In weniger als die Hälfte der Fälle erfolgte eine Ersatzbeschulung.
Laufendes Forschungsprojekt an der Universität Oldenburg zu den Auslösern und Ursachen von Schulabsentismus bei Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum – erste Ergebnisse (2023)[8]:
- 40 bis 53 Prozent der autistischen Schülerinnen und Schüler sind von Schulabsentismus betroffen (im Vergleich dazu: fünf bis zehn Prozent bei nicht autistischen Schülerinnen Schüler).
- Auslöser und Ursachen: Dauerhafter psychischer Stress für autistische Schülerinnen und Schüler, Anpassungsdruck und fehlende Unterstützung.
Ich habe die oben erwähnte Petition Ende Februar 2023 mit einem Dossier (s. Anlage) zur schulischen Situation von autistischen Schülerinnen und Schülern an die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, die an der Situation systemisch etwas ändern können, geschickt: an die Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger sowie an alle Mitglieder der Kultusministerkonferenz sowie der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK als auch an die Kultusministerien der Bundesländer. Reaktionen, die über eine Eingangsbestätigung hinausgingen und sich inhaltlich zu der Petition äußerten kamen nur von Frau Stark-Watzinger, der KMK sowie aus Bayern, Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Ein sehr unbefriedigender Rücklauf. Lediglich die Bundesministerin Stark-Watzinger gestand ein, dass der Handlungsbedarf für einen bedarfsgerechten und chancengerechten Zugang zu Unterricht und damit zu Bildung noch immer groß sei. Die Kernaussage der Antworten von der KMK und den Kultusministerien lautete: Wir kümmern uns bereits sehr umfassend. Dennoch vielen Dank für Ihre Petition.
War die Petition damit unterm Strich ergebnislos oder sinnlos? Nein! Viele tausend Menschen haben sie in großer Hoffnung unterschrieben, dass sich die schulische Situation für autistische Kinder und Jugendliche verändern wird, dass sie endlich Zugang zu Bildung und Unterricht erhalten. Sollen diese Menschen nun enttäuscht wieder zu Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfern, zu Einzelschicksalen werden? Nein, das darf nicht sein! Wir müssen weiter für eine diskriminierungsfreie Schule, für eine autismussensible Schule kämpfen! Dies ist ein Menschenrecht!
Deshalb wende ich mich an Sie, Frau Ferda Ataman, als Bundesbeauftragte der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und an Sie, Herr Jürgen Dusel, als Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen: Setzen Sie sich ein gegen die strukturelle Diskriminierung von autistischen Schülerinnen und Schülern und setzen Sie sich ein für eine autismussensible Schule. Der Status Quo darf nicht die Lebenswirklichkeit von autistischen Kindern und Jugendlichen bleiben, denn das würde bedeuten, dass die Gesellschaft, dass unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, wissentlich hinnimmt, dass autistische Menschen diskriminiert werden, dass sie ihrer Zukunft beraubt werden und dass sie der Mehrheitsgesellschaft nichts wert sind. Ein Verweis auf das Grundgesetz sollte sich an dieser Stelle erübrigen.
Parallel zu meiner Eingabe starte ich einen Aufruf in den sozialen Medien unter dem Titel „kampagne #schulaut – gegen diskriminierung, für eine autismussensible schule“, damit die Einzelfälle nicht mehr isoliert bleiben und sichtbar wird, wie groß die Not und der Leidensdruck sind. Niemand soll mehr darüber hinwegsehen können. Die autistischen Schülerinnen und Schüler sowie ihre Eltern, ihre therapeutischen Unterstützerinnen und Unterstützer dürfen nicht mehr ignoriert werden. Und auch die vielen Lehrkräfte, die sich engagiert für die autistischen Kinder und Jugendlichen einsetzen und die fehlende Unterstützung im System beklagen, dürfen nicht länger überhört werden.
Mit sehr hoffnungsvollen Grüßen
Stephanie Meer-Walter“
[1] https://www.change.org/p/autismus-muss-ein-eigenst%C3%A4ndiger-sonderp%C3%A4dagogischer-f%C3%B6rderschwerpunkt-werden.
[2] Grummt, Marek/Lindmeier, Christian/Semmler, Romy (2021): Die Beschulungssituation autistischer Schüler:innen vor der Pandemie. In: autismus 92, S. 16.
[3] André Zimpel im Interview mit Andreas Croonenbroeck und Klaus G. Danner (2023). In: autismus verstehen 01, S. 18.
[4] Sassa, Isabella/Sansour, Teresa (2023): Schulabsentismus bei Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum. In: autismus 96, S. 10.
[5] Czerwenka, S. (2017): Umfrage von autismus Deutschland e.V. zur schulischen Situation von Kindern und Jugendlichen mit Autismus. In: autismus 83, S. 42-48.
[6] Mottron, Laurent (2016): L’autisme, une autre intelligence. In: Bull. Acad. Natle Méd. no. 3 (2016), séance du 8 mars 2016, S. 423-434; Theunissen, Georg (2019): Autismus und herausforderndes Verhalten. Praxisleitfaden Positive Verhaltensunterstützung. 3., durchgesehene Auflage. Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag, S. 68f.
[7] Grummt, Marek/Lindmeier, Christian/Semmler, Romy (2021): Die Beschulungssituation autistischer Schüler:innen vor der Pandemie. In: autismus 92, S. 6-17.
[8] Sassa, Isabella/Sansour, Teresa (2023): Schulabsentismus bei Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum. In: autismus 96, S. 6-12.
Sehr geehrte Frau Meer-Walter
Mit sehr grossem Interesse habe ich Ihren Vorstoss gelesen und bin absolut begeistert. Danke für Ihre Arbeit! Das müssen wir in der Schweiz auch angehen. Dsnke, dass Sie mit Ihrem Beispiel voran gehen!
Freundliche Grüsse
Regine Götz
Danke für dieses Engagement, ich kenne keine Person im Spektrum die nicht Schule als eins der größten Probleme benennt.
Auch ich, als Großmutter eines betroffenen Kindes, bin dankbar für diesen Vorstoß. Wie lange beobachte ich meine Tochter, die für ihren Sohn wie eine Löwin kämpft und in der Schule inzwischen als lästig und störend empfunden wird. Ich bin so stolz auf sie und hoffe so sehr, dass sie mit Ihrer Hilfe starke Unterstützung erhält.
Dankbar cvdRecke
Ich finde es großartig, dass Sie diese Kampagne ins Leben gerufen haben. Haben Sie vielen Dank für Ihr unerschütterliches Engagement, die schulische Situation von autistischen Kindern und Jugendlichen zu verbessern.
Liebe Frau Meer-Walter,
vielen Dank für Ihre großartigen Bemühungen. Mit Begeisterung höre ich Ihre Podcast, lese einige Bücher und versuche weiterhin die Petition und vor allem Ihre Anzeige über die Diskriminierung von Schülern im gegenwärtigen Schulsystem zu verbreiten und bei den richtigen Stellen anzubringen. Vielen vielen Dank für Ihr Engagement.